Klaus Groth und die Dithmarscher Mundart 3:
Von der Unterdrückung zur Verleugnung

(Thema des Tages vom 01.02.2020)



aus: Klaus Groth: Eine plattdeutsche Bibelübersetzung (1885)

In einer Buchbesprechung schreibt Klaus Groth 1885: "Mir scheint sein (des Herausgebers) Dialekt als dem Hamburgischen verwandt. Er bietet den Vorteil reinerer Konjugationsformen (...), leidet aber an zu vielen gebrochenen Vokalen." Und er schreibt dann den bemerkenswerten Satz:

"Der berühmte Sprachkundige Prinz Lucien Bonaparte, der sich besonders mit den germanischen Mundarten befaßt, hat den Ausspruch getan, von allen plattdeutschen Mundarten sei die holsteinische (will sagen dithmarsische) die vollkommenste. Dies bezieht sich ohne Zweifel auf den reinen Vokalismus derselben, ein Vorzug, den schon vor langem Professor Müllenhoff gerühmt hat." (zitiert nach Groth SW VI, S. 321) Hat er den "unreinen" Vokalismus dreißig Jahre zuvor noch "unterdrückt" - unterdrücken kann man ja nur etwas, was vorhanden ist - so leugnet er jetzt, dass die dithmarsische Mundart überhaupt unreinen Vokalismus hat.

Leider gibt Klaus Groth keine Quellen an. Was Bonaparte angeht, so gibt es eine andere Arbeit, die zu demselben Ergebnis kommt (und auf die Bonaparte sich mit einiger Wahrscheinlichkeit bezieht):
"Das sauberste Niederdeutsch und zugleich das schönste und wohllautendste von ganz Holstein wird in Dithmarschen gesprochen", so Johann Winkler in Algemeen nederduitsch en friesch dialecticon Bd. 1, 1874, S. 54; online: digitale-sammlungen.de; (Übersetzung von mir).

Wie kommt Winkler zu diesem Urteil? Winkler hat das Gleichnis vom verlorenen Sohn Dialektsprechern in verschiedenen Teilen des niederdeutschen Sprachgebiet in ihre Mundart übersetzen lassen. Und auf der Basis der Übersetzung ins Dithmarsische hat er dieses Urteil gefällt. Der Übersetzer aus Dithmarschen heißt - Klaus Groth! Hier Groths Übersetzung: a.a.O. S. 56. Statt dithmarsisch twei heißt es twee, statt deil (teilte) deel, usw. Also auch hier hat Groth die "Unarten absichtlich unterdrückt"! Nicht verwunderlich also, dass Winkler zum Urteil kommt, das sauberste und schönste Plattdeutsch Holsteins werde in Dithmarschen gesprochen.